Crailsheim überrascht mit hungriger Mannschaft und Teamplay

In der vergangenen Saison gehörten Rasta Vechta die Schlagzeilen. Der Aufsteiger aus der niedersächsischen Provinz kreierte einen eigenen Stil und schloss die Spielzeit sensationell auf Platz vier ab. Der zweite Neuling, die Hakro Merlins Crailsheim, flogen hingegen fast die gesamte Saison unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Lediglich am letzten Hauptrundenwochenende stand das Team im Rampenlicht, als es den fast schon sicheren Abstieg durch zwei Siege in Jena und gegen Oldenburg verhinderte. Den letzten Spieltag am 12. Mai bezeichnet Head Coach Tuomas Iisalo gerne als „magischen Tag“. Aber auch diese Einschätzung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Crailsheimer nur mit viel Glück und in letzter Sekunde dem Abstieg entgehen konnten. Die Mannschaft war überaltert und wenig athletisch.

Entsprechend entschieden sich Sportdirektor Ingo Enskat und sein finnischer Cheftrainer bei der Zusammenstellung des neuen Kaders zu einer Radikalkur. Mit DeWayne Russell und Sebastian Herrera blieben lediglich zwei Akteure der Vorsaison. Auf der Bank wird der 37jährige Iisalo jetzt von seinem vier Jahre jüngeren Bruder Joonas assistiert. Die Umstrukturierung ist offensichtlich erfolgreich. Nach fünf Spieltagen standen die Hakro Merlins Crailsheim ungeschlagen an der Tabellenspitze. Zwar gab es zuletzt zwei Niederlagen gegen starke Oldenburger und Ludwigsburger, aber den positiven Gesamteindruck kann das nicht eintrüben.

Radikale Verjüngungskur

Für den Head Coach war die neue Zusammenstellung eine bewusst gewählte Herausforderung. „Tuomas ist ein analytischer und taktischer Trainer. Vielleicht hat er deshalb zuvor eher zu erfahrenen Spielern tendiert. Aber jetzt hat er viel Spaß mit dieser hungrigen Mannschaft, die alles aufsaugt“, sagt Enskat, der gerne darauf verweist, dass die Mannschaft mit einer enormen Intensität trainiert. Nachdem Crailsheim in der Vorsaison die älteste Truppe stellte, ist im aktuellen Team kein Spieler älter als 26 Jahre. Bei den neuen Ausländern achtete man besonders auf Athletik und Verteidigungsqualitäten. Defensiv ist die Mannschaft tatsächlich solide, aber trotz ihrer vielen Ballgewinne brilliert sie bislang noch mehr mit ihrer Offensive. Mit 94,1 Punkten pro Partie legen die Iisalo-Schützlinge nur ganz knapp hinter Berlin den zweitbesten Wert der Liga auf.

Ihre beeindruckendsten Auftritt hatten sie am dritten Spieltag in Bonn, wo sie den Gastgebern beim 82:114 die höchste Heimniederlage der Vereinsgeschichte zufügten. Wie hoch diese Leistung zu bewerten ist, zeigte sich zwei Tage später, als die Bonner völlig überraschend den Deutschen Meister Bayern München aus dem Pokalwettbewerb warfen.

Extrapässe und Dreier

Der Crailsheimer Angriff zeichnet sich in erster Linie durch schnelle Ballbewegung aus. Mit uneigennützigem Passspiel werden immer wieder die guten Werfer in Position gebracht. Dabei erinnert die Offense ein wenig an die Bamberger unter Andrea Trinchieri. Über eine Penetration oder ein Pick and Roll wird ein erster Vorteil kreiert, der über Extrapässe weiter ausgebaut wird.

Grundsätzlich muss man gegen Crailsheim die Dreipunktelinie kontrollieren. Kein Team punktet häufiger von Downtown als die Hohenloher. Mit 41,2% ist die Quote gut, vor allem wenn man bedenkt, dass die Merlins mehr als 30 Dreier pro Partie nehmen.

Aufsteiger Herrera

Für die Spieler selbst scheinen die Erfolge nicht überraschend zu kommen. Bereits nach dem Auftaktsieg in Gießen sagte der junge Kapitän Herrera, dass aus seiner Sicht die neue Mannschaft von der ersten Sekunde an „geklickt“ habe. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines chilenischen Vaters ist einer der Aufsteiger der ersten Saisonwochen. 2014 spielte er mit der chilenischen Jugendnationalmannschaft ein Turnier in Deutschland, womit seine Karriere im Heimatland der Mutter begann. Über Trier führte sein Weg nach Crailsheim, wo er in seiner ersten Bundesligasaison 4,5 Punkte pro Partie erzielte und als ein reiner Dreipunktespezialist galt. In den ersten sieben Spielen der aktuellen Spielzeit gelangen ihm 15,3 Zähler im Schnitt mit einer surrealen Dreierquote von 64,3%. Aber Herrera ist nicht nur als Scorer aufgetreten. In Sommer arbeitete er hart daran, seinem Repertoire neben dem Distanzwurf weitere Dimensionen hinzuzufügen. „Seba hat sich vor allem defensiv stark verbessert“, lobt Enskat den Deutsch-Chilenen.

Mittelfristig fehlt die Basis

Hungrig, uneigennützig und wurfstark – die Crailsheimer Mannschaft präsentiert sich bislang hochfunktional. Für einen mittelfristigen Höhenflug sind die Voraussetzungen aber nicht gegeben. Mit nur 34 000 Einwohnern verfügt die Stadt im fränkisch geprägten Nordosten Baden-Württembergs über keine ausreichende Basis. Die außerhalb gelegene Arena Hohenlohe ist eine Mehrzweckhalle, in der auch Viehauktionen stattfinden. Entsprechend gehört für den jahrelangen Macher Martin Romig eine neue Spielstätte zu den wichtigsten Themen. Auch wenn der Crailsheimer Höhenflug nach den letzten beiden Niederlagen erst einmal gestoppt ist: Der Aufstand des kleinen gallischen Dorfes bietet eine Facette, die der Liga guttut.

Euer