Der ungewöhnliche Weg der Tischler-Zwillinge

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Der ungewöhnliche Weg der Tischler-Zwillinge

„Sie sind sich sehr, sehr ähnlich“, diese lapidare, aber dennoch aussagekräftige Einschätzung von Jesus Ramirez mag auf den ersten Blick aufgrund ihrer Offensichtlichkeit beinahe schon oberflächlich wirken. Aber wer dem Head Coach das Basketball-Bundesligisten Löwen Braunschweig länger zuhört, wenn er über seine Schützlinge Brandon und Nicolas Tischler spricht, bemerkt schnell, dass Ramirez auf weit mehr anspielt als nur die optischen Ähnlichkeiten der Zwillingsbrüder, die dem Spanier vor allem zu Beginn der Saison Schwierigkeiten bereiteten. „Wenn ich im Training nicht sicher war, wen von beiden ich meinte, rief ich einfach nur „Tischler““, gibt der Übungsleiter unumwunden zu. Dann kam er auf die Idee, die Zwillinge unterschiedliche Socken tragen zu lassen. Brandon, dessen Vorname mit einem B beginnt, sollte seine Füße in schwarz (black) und Nicolas in weiß hüllen. Das funktionierte solange, bis alle schwarzen Socken in der Wäsche waren. Mittlerweile benötigt Ramirez solche Hilfen nicht mehr, weil er seine Spieler besser kennengelernt hat.

Training mit Holger Geschwindner

Zwillingsbrüder im gleichen Team und dazu auch noch auf der gleichen Position: Das gab es in der NBA von 2019 bis 2021 bei den Charlotte Hornets mit Caleb und Cody Martin. In Deutschland sorgen Brandon und Nicholas Tischler, die vor dieser Spielzeit nur absoluten Insidern ein Begriff waren, für diese außergewöhnliche Konstellation. Bis 2020 spielten sie in Baunach beim Kooperationspartner des neunmaligen Deutschen Meisters Brose Bamberg in der ProA und ProB, der zweiten bzw. dritten Liga. Nachdem Bamberg die Zusammenarbeit beendet hatte und sich die Baunacher in die Regionalliga zurückgezogen hatten, gingen die Tischlers einen unüblichen Weg, indem sie sich vor der Saison 2020/2021 wegen der Corona-Unabwägbarkeiten dafür entschieden, für keine Mannschaft zu spielen und stattdessen ausschließlich mit Nowitzki-Mentor Holger Geschwindner individuell zu trainieren.

Im November 2020 besuchten sie auf Einladung von Dennis Schröder Braunschweig. Der NBA-Star fungiert als Alleingesellschafter des Klubs und traf sich mit Brandon und Nicolas vor Ort zum Training und zum Kennenlernen. Im Frühjahr 2021 trafen die Tischlers dann die Entscheidung für ein Engagement 2021/2022 bei den Löwen. Nach sicherlich wertvollen Einheiten mit Holger Geschwindner war es trotzdem auch ein Wagnis, denn die zu Saisonbeginn 21Jährigen debütierten nach eineinhalb Jahren ohne Wettkampfpraxis in der ersten Liga und damit auf einem Niveau, das sie zuvor nicht kannten. Insbesondere das höhere Entscheidungstempo im Oberhaus war zu Saisonbeginn eine große Herausforderung. Je besser sie damit umzugehen lernen, desto größer dürften ihre Spielanteile werden.

Charakter und Arbeitseinstellung

Coach Jesus Ramirez lobt den Spirit, die exzellente Arbeitseinstellung und Motivation von Brandon und Nicholas, die nach jedem Training Extraschichten schieben und sich vor allem defensiv schon als wertvoll für die Löwen erwiesen haben. „Es sind charakterlich zwei tolle Jungs, die auch sehr hart arbeiten. Sie kommen als Erste und gehen als Letzte“, sagt der 42Jährige. Die Tischlers leben für ihren Sport und ihre Ziele. Die Unterschiede im Spiel der Zwillinge sind marginal. Beide sind kräftig und schnell, prinzipiell athletische Spielertypen. Mit einer Körpergröße von 2,00 Meter sind sie natürliche Small Forwards, die offensiv auch Shooting Guard oder Power Forward spielen können. Defensiv ist ihre Variabilität sogar noch größer, im Prinzip können sie alle fünf Positionen verteidigen. Während sie in der Verteidigung schon komplett erstligatauglich sind, befinden sie sich im Angriff in einem Prozess dorthin. Brandon verfügt über eine stärkere 1-1-Scorer-Mentalität, während Nicholas etwas mehr zum Allrounder und Vorbereiter tendiert.

Ramirez ist auf jeden Fall von Potenzial der Zwillinge überzeugt: „In zwei bis drei Jahren können sie bei einem Playoff-Team wichtiger Bestandteil der Rotation sein. Das Talent und die Einstellung dazu haben sie.“ Die Tatsache, dass sie die gleiche Position spielen, macht sie auch zu natürlichen Kontrahenten. Sie kämpfen letztendlich auch gegeneinander, um sich Spielzeit zu sichern. Aber sie machen das laut Coach ihrem Coach auf eine „gesunde Art und Weise“.

Die Entwicklung der Tischlers in der abgelaufenen Saison war beeindruckend und ein wichtiger Faktor für den Braunschweiger Erfolg in der Basketball-Bundesliga.

Euer