Erfolge mit Advanced Stats
Auf die Frage, ob Basketball sein Leben sei, zögert Johan Roijakkers tatsächlich drei Sekunden, bevor er dann aber klar und bestimmt mit „Ja“ antwortet. Der Niederländer ist der Head Coach der BG Göttingen und einer der interessantesten Köpfe in der Basketball-Bundesliga. Die Nostalgiker erinnern sich mit ein wenig Wehmut an jene Zeiten zurück, als der damals noch als körperlos geltende Sport fast ausschließlich von Studenten in Universitätsstädten betrieben wurde. Entsprechend dürften sie sich darüber freuen, dass der Traditionsstandort aus Südniedersachen aktuell in der Spitzengruppe der Bundesliga zu finden ist. Die Methoden, mit denen Roijakkers den Basketball in Göttingen neu belebt hat, sind allerdings hochmodern. Der 38Jährige würde im Fußball wahrscheinlich mit leicht despektierlichem Unterton als „Laptop-Trainer“ bezeichnet werden, denn Zahlen spielen für sein Training und seine Spielvorbereitung eine zentrale Rolle. Dafür arbeitet ihm ein absoluter Spezialist zu: Julian Meier aus San Diego füttert den Göttinger Coach mit sogenannten „Advanced Stats“, unfassbar vielen und detailgenauen Statistiken zu spezifischen Spielsituationen.
Weitaus offensichtlichere und auch dem Laien verständliche Zahlen belegen die bisherigen Erfolge der BG, die seit der Niederlage zum Saisonauftakt gegen Bonn nur noch in Berlin als Verlierer vom Platz ging. Offensiv legen die Göttinger 84,7 Zähler pro Partie auf, mit 56,3% Zweierquote liegen sie auf Rang drei, ihre 41,4% Dreier sind ein absoluter Bestwert, und insgesamt sind sie neben den Branchenführern aus München und Berlin die einzige Mannschaft, die besser als 50% aus dem Feld wirft. „Unser Go-to-Guy ist der freie Mitspieler. Wir nehmen einfach gute Würfe, ob nach vier oder nach 22 Sekunden“, beschreibt der Coach die offensive Ausrichtung, in der er seinen Spielern viele Freiheiten gewährt. Dazu wirkt das Team defensiv deutlich gefestigter als in den Vorjahren.
Roijakkers ist der einzige Trainer in der Liga, der ohne eigentlichen Assistenten arbeitet. Dennoch schwört er auf seine Mitarbeiter wie Athletiktrainer Domenik Theodorou und unterstreicht deren Bedeutung für den Erfolg: „Wir alle arbeiten sieben Tage in der Woche“. Der Chef geht diesbezüglich mit gutem Beispiel voran, ist eigentlich nur mit dem Wort „Workaholic“ zu charakterisieren, achtet aber penibel auf genügend Schlaf und seine Ernährung. Angesichts des riesigen Pensums bleibt ihm wenig Zeit zu entspannen. In diesen seltenen Momenten schaut Roijakkers niederländischen Fußball, trainiert selbst oder liest ein Buch.
Im März 2017 bezogen die Göttinger ihr Trainingszentrum direkt neben der Spielhalle. Es war ein Quantensprung für den Club, der seit dem Aufstieg 2014 immer als einer der Abstiegskandidaten gehandelt wurde. Der umsichtige Manager Frank Meinertshagen hat es mittlerweile geschafft, den Etat in den Bereich von drei Millionen Euro zu hieven. Dadurch stecken im Team 20 Prozent mehr Geld als im Vorjahr. „Unser nächster Schritt wäre es, wenn wir uns mittelfristig aus dem Abstiegskampf verabschieden könnten“, sagt der 50Jährige mit der ihm und dem Verein eigenen Mischung aus Ambition und Realismus und fügt hinzu: „Wir hatten Glück mit dem Spielplan“.
Aber die Verantwortlichen sehen auch, dass ihr Team über mehr Qualität als in der Vergangenheit verfügt. Michael Stockton und Darius Carter sind eines der besten und spektakulärsten Pick-and-Roll-Duos der Liga. Neuzugang Penny Willams scort mit überragenden Quoten, aber der wichtigste Faktor ist die Steigerung der deutschen Akteure. Dominic Lockhart, Stephan Haukohl und Dennis Kramer haben im Sommer hart gearbeitet – und das zahlt sich aus. Zudem ist mit Rückkehrer Mathis Mönninghoff eine weiterer Qualitätsspieler hinzugekommen.
Meinertshagen hat es geschafft Roijakkers, zu dessen Routinen es zählt, jedes Training zu filmen und auszugsweise mit den Spielern zu analysieren, bis 2021 an den Club zu binden. Sollte er dann gehen, wäre er neun Jahre Trainer der BG gewesen. Die Göttinger Fans sagen schon jetzt, dass er zur DNA gehöre. Der ehrgeizige Coach möchte mittelfristig in einem Verein arbeiten, der auch europäisch spielt. Um sich zu verbessern, schaut Roijakkers bei jeder Gelegenheit die Spiele der Euroleague. Möglicherweise führt sein Weg genau dort hin.
Euer