Bamberger Reset mit Tyrese Rice

Bamberger Reset mit Tyrese Rice

Geht man nach der Definition anhand der Einwohnerzahl, dann ist Bamberg mit seinen noch nicht einmal 80 000 Einwohnern eine „große Mittelstadt“ – und eine wunderschöne dazu mit ihrem zum Weltkulturerbe zählenden historischen Stadtkern. Dieser von pittoresker Beschaulichkeit geprägte Ort war in den letzten Jahren das Mekka des deutschen Basketballs, weil die Korbjäger aus der Domstadt es immer wieder verstanden der Großstadtkonkurrenz aus München und Berlin die Rücklichter zu zeigen. Zwischen 2010 und 2017 gewannen die vom Automobilzulieferer Brose großzügig unterstützen Oberfranken sieben von acht Meistertiteln. Im Sommer löste aber dann der immer ambitionierter auftretende FC Bayern München die Bamberger als Titelträger ab, für die in der vergangenen Saison so ziemlich alles schieflief, was schieflaufen konnte.

Im Sommer 2017 war zunächst Sportdirektor Daniele Baiesi ausgerechnet zum Erzrivalen nach München gewechselt. Seine Expertise fehlte ganz offensichtlich bei der Zusammenstellung des spielenden Personals, zumal sein Nachfolger Ginas Rutkauskas erst nach Bamberg kam, als die Kaderplanungen bereits abgeschlossen waren. Nach dem Abgang der besten Spieler in die NBA oder zu europäischen Topteams kam die neue Mannschaft nie wirklich in einen Rhythmus, was ein Stück weit auch dem großen Verletzungspech geschuldet war. Fast schon zwangsläufig erfolgte die Trennung von Trainer Andrea Trinchieri im Februar. Schnell wurde klar, dass sein als Nachfolger verpflichteter italienischer Landsmann Luca Banchi nur als Übergangslösung fungieren sollte.

Nach der Saison wurde dann in Bamberg ein Paradigmenwechsel eingeläutet. Michael Stoschek, der Vorsitzende des Aufsichtsrates, kündigte an, dass der Verein künftig kleinere Brötchen backen und aus dem (finanziellen) Wettlauf mit den Münchnern um die Meisterschaft aussteigen wolle. Zur Umorientierung passt es auch, dass der hochgeschätzte Geschäftsführer Rolf Beyer zum Jahresende auf eigenen Wunsch ausscheiden wird. Nicht nur deshalb sollte der Einfluss des bislang stark im Hintergrund agierenden Litauers Rutkauskas wachsen. Erstes Indiz: Mit dem Letten Ainars Bagatskis, der erstmals in Westeuropa arbeitet, wurde ein baltischer Trainer verpflichtet.

„Mehr Bodenständigkeit“ – so könnte das Motto bei der Mannschaftszusammenstellung gelautet haben. Mit Maurice Stuckey, Arnoldas Kulboka, Daniel Schmidt und Leon Kratzer kehrten vier Ex-Spieler in die Domstadt zurück, von denen aber vermutlich nur die beiden Erstgenannten größere Rollen einnehmen dürften.  Das große litauische Talent Kulboka war in der vergangenen Spielzeit nach Italien ausgeliehen und wurde im Sommer vom NBA-Team Charlotte Hornets gedraftet. Der 20Jährige soll die nächsten Entwicklungsschritte in Richtung nordamerikanische Profiliga machen, genauso wie der gleichaltrige Louis Olinde.

Es geht in Bamberg nicht mehr ausschließlich um Titel. Aber dennoch sind sportliche Erfolge weiter nötig, nicht zuletzt auch um die erfolgsverwöhnten Fans in „Freak City“ bei Laune zu halten. Das Budget dürfte immer noch das zweithöchste in der Liga sein, und dementsprechend sollte die Mannschaft zusammen mit ALBA Berlin wichtigster Herausforderer des Favoriten und Titelverteidigers Bayern München sein.

Wichtigster Neuzugang ist zweifellos Tyrese Rice. Der nur 1,80 Meter große Spielmacher hat im europäischen Vereinsbasketball in tragender Rolle schon alles gewonnen. 2014 war er sowohl im Halbfinale als auch im Endspiel der herausragende Akteur, als Maccabi Tel Aviv völlig überraschend die Euroleague für sich entschied. In der Folgesaison gewann er mit Chimki Moskau den Eurocup und wurde als bester Spieler in diesem Wettbewerb ausgezeichnet. Sollte es dem mittlerweile 31Jährigen gelingen, das Team um sich zu scharen, ist Bamberg Einiges zuzutrauen. Denn Tyrese ist ein extrem schneller und intelligenter Spieler, der seine Mannschaftskameraden besser macht.

In der Saison 2010/2011 hatte ich das Vergnügen, mit ihm bei den Artland Dragons zusammenarbeiten zu dürfen. Tyrese war maßgeblich daran beteiligt, dass wir den späteren Double-Gewinner Bamberg sowohl in Meisterschaft als auch Pokal an den Rand des Ausscheidens brachten. Jetzt schnürt er seine Schuhe für die Brose-Basketballer, die Freaks in der Domstadt werden ihre Freude an diesem spektakulären Spieler haben.

Euer

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