Aufsteiger Chemnitz sorgt für Furore

Basketballer taucht mit Ball unter dem Korb durch

Drei Siege innerhalb von nur fünf Tagen. Die NINERS Chemnitz verabschieden sich im Rekordtempo aus dem Tabellenkeller und finden sich plötzlich auf dem neunten Platz wieder. Die beiden letzten Erfolge waren an Dramatik kaum zu überbieten. Gegen Brose Bamberg und den Meisterschaftsmitfavoriten Bayern München zeigte der Aufsteiger, warum er für jede Mannschaft der Liga ein gefährlicher Kontrahent ist: Mentalität, Skills und Nervenstärke zeichnen Rodrigo Pastore und seine Schützlinge aus.

Als ich am 21. November das erste Heimspiel der Chemnitzer gegen die BG Göttingen kommentierte, ließ ich mich während der Übertragung schon zu der Aussage hinreißen, dass der Neuling nichts mit dem Abstieg zu tun haben sollte. Am Ende dieser Partie stand zwar eine unglückliche Verlängerungsniederlage der Gastgeber, das Potenzial war aber deutlich erkennbar.

Die Mentalität

Nur zwei Tage zuvor hatten die NINERS ihren ersten BBL-Auftritt überhaupt gehabt und sich bei der kurzfristig nach ihrer Quarantäne angesetzten Begegnung in Bamberg sehr wacker geschlagen. Trotz teilweise guter Leistungen blieben zunächst aber die Ergebnisse aus. Chemnitz verlor die ersten sechs Partien, aber nicht den Glauben an sich selbst. Ich erinnere mich daran, dass RASTA Vechta in der sensationellen ersten Saison unter Pedro Calles ebenfalls Anlaufschwierigkeiten zeigte. Mit diesem Vergleich möchte ich keinesfalls die Latte für Chemnitz unverschämt anheben, sondern nur verdeutlichen, dass Aufsteiger eine Gewöhnungsphase brauchen. Von den letzten zwölf Partien haben die Sachsen sieben für sich entscheiden können. Die Mentalität, sich von Widrigkeiten nicht beindrucken zu lassen, unterstreicht exemplarisch das Spiel gegen die Bayern am Sonntag, in dem Chemnitz im Schlussviertel einen 14-Punkte-Rückstand gegen den Euroleague-Teilnehmer noch in einen Sieg ummünzte und am Ende einen 17:3-Lauf hinlegte!

Die Spieler und ihre Skills

Die NINERS verfügen über ein solides deutsches Gerüst, dessen Prunkstück sicherlich die drei Big Men Niklas Wimberg, Jonas Richter und Filip Stanic bilden. Letzterer hat aufgrund seines riesigen Verletzungspechs in dieser Saison noch nicht einmal elf Minuten auf dem Parkett verbracht. Die beiden anderen stellen aufgrund ihrer Mobilität und Schnelligkeit die Kontrahenten vor große Probleme. Richter ist ein starker Pick-and-Roll-Spieler, der aber auch in Transition den Ball selbst schnell vortragen und dann gute Passentscheidungen treffen kann. Nationalspieler Wimberg kann mit seinem verlässlichen Dreier das Feld weitmachen und den Ball auf den Boden setzen. Zudem ist er eine Bank von der Linie (32 von 33 Freiwürfen getroffen!) und der viertbeste Shotblocker der Liga. Nicht zu vergessen, mit Dominique Johnson hat ein deutscher Akteur den Gamewinner gegen die Bayern getroffen! Malte Ziegenhagen (Dreier) und Luis Figge (Defense) haben klar umrissene Spezialaufgaben.

Bei seinen Legionären hat Rodrigo Pastore einen guten Mix aus Kreativität und Athletik gefunden. Terrell Harris agiert in der BBL ähnlich effektiv wie zuvor in der ProA. Der kanadische Rookie Isiaha Mike entpuppt sich als ein Steal – und das nicht nur wegen seines spektakulären Spiels auf Überringniveau. George King kommt immer besser in Form und trifft 52 Prozent seiner Dreier bei 4,4 Versuchen pro Partie. Gegen Bamberg und München startete er den Chemnitzer Motor mit 13 bzw. 12 Punkten im ersten Viertel. In der Crunchtime übernimmt dann Marcus Thornton, der mich nicht nur wegen seiner Frisur an Julius Jenkins erinnert. Auch sein Körperbau und sein Spiel sind mit dem zweimaligen Liga-MVP vergleichbar. Thornton liebt die großen Würfe am Ende, die er mit einer selbstverständlichen Coolness nimmt und häufig auch trifft. Sein elfter und letzter Assist gegen München beweist aber auch, dass die große Bühne für ihn kein Selbstzweck ist. Rückkehrer Joe Lawson und der schon 37jährige Virgil Matthews geben dem Gebilde Stabilität.

Die Nervenstärke bei den Siegen gegen Bamberg und Bayern

Ich will mit euch die entscheidenden Szenen gegen Bamberg und München noch einmal durchgehen. Nach dem Spiel gegen Bamberg wurde fast nur von Thorntons Dreier gesprochen, bei dem David Kravish den Block von Wimberg offensichtlich auf der anderen Seite antizipierte. Aber auch da wäre der Bamberger Center nicht in einer Position gewesen, um den Wurf zu verhindern. Viel wichtiger ist für mich, was danach passiert. Bamberg nimmt mit 1,5 Sekunden auf der Uhr und bei einem Dreipunkterückstand eine Auszeit. Chemnitz kommt danach zurück aufs Feld und stellt eine Zonenverteidigung auf! Das ist einerseits riskant, weil die Gefahr, einen Dreier zu kassieren, hoch ist. Auf der anderen Seite ist es ein echtes Überraschungsmoment, auf das die Bamberger Spieler hilflos reagieren. Pastores Spiel geht auf! Ich frage ich mich, ob er es auch gewagt hätte, wenn der Einwurf vor Johan Roijakkers‘ Bank stattgefunden hätte und dieser dadurch die Chance zu einer größeren Einflussnahme gehabt hätte.

Das letzte Play gegen die Bayern ist schnell erklärt. München hat den richtigen Gedanken und will den Ball durch ein Doppeln aus Thorntons Händen bringen, was auch gelingt. Dann macht aber Nick Weiler-Babb den Fehler, nicht den Rückpass zu Thornton zu verhindern, so dass der Chemnitzer das Spielgerät zurückerhält und durch seine Penetration die Münchner Defense ins Rotieren bringt. Was dann folgt, ist uneigennütziger Basketball auf höchstem Niveau.

Chemnitz in die Playoffs? Nein, das glaube ich nicht. Für mich ist Bamberg erster Kandidat für den achten Platz, zumal die Domstädter am Sonntag mit einer Siebenmannrotation ALBA BERLIN geschlagen haben. Aber die NINERS werden weiter Spaß machen. Sie leisten sich zwar sowohl absolut als auch prozentual die meisten Ballverluste in der Liga, aber dafür treffen sie ihre Dreier (41,2 Prozent) gut. Vor allem aber beeindrucken sie mit Mentalität, Skills und Nervenstärke!

Euer