Das Auge für Talente

Das Auge für Talente

Wenn der renommierteste deutsche Trainer der Basketball-Bundesliga sich entscheidet, seinen Platz auf der Bank gegen die Rolle des Sportdirektors einzutauschen, ist das im Basketball nicht nur per se außergewöhnlich, sondern auch ein Signal, dass diese bislang unterbewertete und bei den meisten Vereinen immer noch unbesetzte Position zukünftig eine größere Rolle einnehmen wird. Thorsten Leibenath, der ratiopharm ulm in der Spitzengruppe der deutschen Eliteliga etablierte wird nach acht Jahren als Head Coach ab der kommenden Spielzeit die Geschicke des Clubs in neuer Funktion mitgestalten. Die Ulmer werden damit erstmals über einen Sportdirektor verfügen, was übrigens auch für medi bayreuth gilt. Dort wurde Matthias Haufer als erster sportlicher Leiter in der Clubgeschichte vorgestellt. Trotz dieser beiden „Neuzugänge“ haben derzeit nur sieben von 18 Vereinen diesen Posten vergeben. Gerade die kleineren und finanziell überschaubarer ausgestatteten Bundesligisten scheuen sich, für diese Aufgabe Geld in die Hand zu nehmen, was dann letztendlich im Spieleretat fehlen würde. Aber dies ist vom Ansatz her zu kurzfristig gedacht.

Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Sportdirektors, entwicklungsfähige Akteure zu finden. Entsprechend ist ein Hintergrund im Scouting, der Sichtung und Einschätzung von Spielern, eine Art Grundvoraussetzung. So arbeitet „Matt“ Haufer bereits seit 2014 als Scout für den Bayreuther Cheftrainer Raoul Korner. In der Regel sind die Head Coaches und ihre Assistenten durch das immer komplexer werdende Anforderungsprofil ihres Jobs bestenfalls in der Lage, diesen Bereich noch peripher abzudecken. So war es eines der Erfolgsgeheimnisse der Bamberger Meisterjahre 2010-2013, mit Brendan Rooney über einen Scout zu verfügen, der den Spielermarkt ganzjährig beobachtete. Das erlaubte den Oberfranken, im Bedarfsfall deutlich schneller und gezielter als die Konkurrenz zu handeln. Die Sportdirektor ist permanent in der Lage, Spieler in anderen Ligen auch vor Ort in Augenschein zu nehmen, und kann auch besondere Events abdecken. So führte Haufers erste Dienstreise im April nach Virginia zum Portsmouth Invitational Tournament (PIT), bei dem sich für Europa interessante College-Absolventen präsentieren. Teams ohne Sportdirektor können diese Veranstaltung aufgrund der Terminierung während der Bundesligasaison nicht besetzen.

Neben einem Auge für Talente ist auch ein starkes Netzwerk elementar für einen guten Sportdirektor. Der Spanier Himar Ojeda, der diese Position bei ALBA Berlin bekleidet, fungierte als Director of International Scouting für den NBA-Club Atlanta Hawks. Daniele Baiesi, sein italienisches Pendant bei Bayern München, war in gleicher Funktion fünf Jahre für die Detroit Pistons tätig. Wie wichtig mittlerweile die Spitzenvereine diese Position einstufen, lässt sich an der Personalie Baiesi gut ablesen. Von 2014-2017 war der 43Jährige Sportdirektor bei Brose Bamberg. Sein folgender Wechsel zu den Bayern sorgte für viel Wirbel. Ohne Baiesi ging es bei Bamberg bergab und in München bergauf. Der Italiener galt als Architekt der Meisterteams von Andrea Trinchieri. Sein litauischer Nachfolger Ginas Rutkauskas griff bei der Spielerauswahl ordentlich daneben und ist mittlerweile nicht mehr für Brose tätig. Entsprechend sucht Bamberg einen neuen sportlichen Kopf.

Wichtigste interne Aufgabe der Sportdirektoren ist es, die sportliche Gesamtkonzeption des Vereins zu entwickeln. Der Verzahnung von Bundesliga, Farmteam und Jugendleistungsbereich kommt dabei eine ganz besondere Rolle zu. Die Clubs werden diesbezüglich immer ambitionierter, professionalisieren Strukturen und benötigen dafür einen Supervisor und Visionär mit entsprechendem Knowhow. In diesem Feld hat Ojeda mit seinem Engagement in Berlin absolute Vorbildfunktion. Er holte mit seinem Landsmann Aíto Garcia Reneses nicht nur den wahrscheinlich besten Talententwickler Europas (eine Verpflichtung, die ohne Ojeda wohl nie möglich gewesen wäre), sondern intensivierte die ohnehin schon beeindruckende Jugendarbeit weiter. Dass mit dem ehemaligen Nationalspieler und Vereins-Vize Henning Harnisch ein Ex-Sportdirektor die zweite treibende Kraft im Nachwuchsbereich ist, spricht für die Kontinuität des Berliner Ansatzes, von dessen Nachhaltigkeit die meisten Bundesligisten aber weit entfernt sind.

Möglicherweise fehlt es den Geschäftsführern nicht nur an Geld, sondern auch an der Zeit, Konzepte zu entwickeln. Die Etablierung eines Sportdirektors bringt sowohl für das Management als auch für das Trainerteam Entlastung und holt zugleich einen Partner auf Augenhöhe ins Boot, mit dem die Zukunft gestaltet werden kann. Es ist immer hilfreich, wenn sich alle Beteiligten auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Marko Pesic, der Geschäftsführer der Bayern-Basketballer, begann in München als Sportdirektor. Von 2013-2017 übte er beide Aufgaben in Personalunion aus. Seit Baiesi mit an Bord ist, hat das gesamte Projekt zusätzliche Fahrt aufgenommen.

Euer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert