Ein französisches Juwel in Ulm

Die deutsche Mannschaft hat bei der WM in China ihre Auftaktpartie gegen Frankreich verloren. Unser westlicher Nachbar schafft es immer wieder, große Talente hervorzubringen. Eines davon spielt nächste Saison in Ulm. Jenen Spieler möchte ich euch etwas näher vorstellen.

Ein Teenager als Starter auf der Spielmacherposition? Diese Konstellation hat in diesem Jahrzehnt in der Basketball-Bundesliga noch kein Verein ernsthaft angedacht. Doch jetzt möchte ratiopharm ulm diesen Weg gehen. Der dafür Auserkorene ist allerdings auch ein besonderes Juwel. Mit Killian Hayes konnten die Ulmer eines der größten Talente seiner Altersklasse in Europa unter Vertrag nehmen. Bayern München gelang es, mit dem Ex-NBA-Profi Greg Monroe den namhaftesten Neuzugang an Land zu ziehen, aber das spannendste individuelle Projekt könnte Hayes sein. Der Franzose wurde erst am 27. Juli 18 Jahre alt und hat in den letzten beiden Jahren auf internationalem Parkett brilliert. 2017 gewann er mit Frankreich die U16-Europameisterschaften und wurde zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt. Im vergangenen Sommer errang er bei den U17-Weltmeisterschaften die Silbermedaille, legte 16,1 Punkte, 3,6 Rebounds, 3,3 Assists und 2,7 Ballgewinne pro Partie auf und wurde in die Turnierauswahl berufen. In den sogenannten Mock Drafts der NBA, in denen Experten die Wahl des nächsten Jahres prognostizieren, taucht Hayes überall in der ersten Runde auf, teilweise sogar in den Top Ten.

Wie landet ein solches Ausnahmetalent in Ulm? „Sein Agent kam auf uns zu. Unser aktives Werben begann erst, als er Interesse an unserer Situation signalisiert hatte“, erklärt Sportdirektor Thorsten Leibenath. Der für seine Position mit 1,96 Meter relativ große Athlet hatte erst im vergangenen Sommer seinen ersten Profivertrag unterschrieben, der eigentlich eine Laufzeit von drei Jahren vorsah. In Cholet spielte der Sohn eines amerikanischen Vaters und einer französischen Mutter auf Anhieb eine gute Rolle und erzielte 7,1 Punkte pro Partie in der ersten französischen Liga. Doch die Aussichten für den kommende Saison gestalteten sich eher durchwachsen. Dem NBA-Aspiranten wäre hinter einem amerikanischen Spielmacher und einem US-Starter auf der Position Zwei die Rolle des dritten Guards in der Rotation zugefallen. Spieler und Umfeld wünschten sich aber eine tragende Rolle bei einer Mannschaft, die im Gegensatz zu Cholet auch europäisch spielt.

Ulm kann genau das bieten. „Wir haben uns mittlerweile einen Ruf in Europa erarbeitet, so dass Agent und Spieler uns angesprochen haben und jetzt mit einem guten Gefühl hinter dem Wechsel stehen“, erklärt Leibenath nicht ohne Stolz. Die Bereitschaft, junge Talente früh mit verantwortungsvollen Aufgaben zu betreuen, zeichnet Ulm schon länger aus. Per Günther, Robin Benzing, Daniel Theis oder zuletzt David Krämer sind Namen, die dies belegen. Entsprechend ist die Verpflichtung von Hayes für den Sportdirektor, der zuvor acht Jahre in Ulm als Head Coach fungiert hatte, der nächste Schritt und die konsequente Fortführung eines eingeschlagenen Weges. Mitte nächsten Jahres wollen die Ulmer ihren Orange Campus eröffnen, ein Projekt nach dem Vorbild der Jugendleistungszentren im Fußball. Mit diesem in Deutschland einzigartigen Komplex wollen sie jugendliche Ausnahmetalente aus ganz Europa anlocken. Derzeit trainieren bereits 15 nichtdeutsche Kinder und Jugendliche im Programm. Mit Hayes haben die Schwaben einen Spieler der obersten Kategorie abgegriffen, was ihnen zukünftig bei der Rekrutierung ambitionierter Nachwuchsspieler nur zum Vorteil gereichen kann.

„Die Interessensgleichheit mit Hayes und seinen Beratern war schnell abgeklopft, den Vertrag in trockene Tücher zu wickeln, aber noch ein schwieriges Stück Arbeit“, erläutert Leibenath, der diesbezüglich jedoch keine Details preisgeben möchte. Aber es ist davon auszugehen, dass angesichts des Vertragsverhältnisses mit Cholet eine Ablösesumme im Raum stand. Genauso ist es wahrscheinlich, dass der neue Dreijahreskontrakt zumindest für die NBA vorzeitige Ausstiegsklauseln beinhaltet. Insofern könnte es den Youngster schon bald in die USA ziehen.

Entsprechend wünscht sich Leibenath, dass der Linkshänder seinen Fokus auf die anstehende Saison richtet und nicht auf das, was danach kommt. Er ist aber sehr zuversichtlich, was sowohl mentale als auch sportliche Klasse seines Neuzugangs betrifft: „Ich bin beeindruckt, wie er seine Mitspieler besser macht. Er hat eine echte Spielmachermentalität.“ Die Erwartungen sind hoch, der 18Jährige soll die Fäden in der Hand halten, organisieren und kreieren. Doch kann ein dominanter Jugendspieler schon im Eurocup, dem zweithöchsten kontinentalen Wettbewerb, konstant eine tragende Rolle spielen? „Killian ist das Risiko wert. Er bringt von den Anlagen her alles mit, was ein moderner Point Guard braucht“, sagt Jaka Lakovic. Der neue Ulmer Head Coach war selbst einer der besten Spielmacher in Europa. Vielleicht denkt er beim dem Begriff Risiko nicht nur an die überschaubare Erfahrung von Killian Hayes im Männerbereich, sondern auch an die Gesamtsituation. Mit Routinier Per Günther steht nur noch ein weiterer Akteur für diese eminent wichtige Position zu Verfügung, der nach seiner Kniearthroskopie in der Endphase der vergangenen Saison auf der Suche nach seiner Form war. Auf der anderen Seite könnte ein gesunder Günther der großen Nachwuchshoffnung die Starterrolle streitig machen. „Wer anfängt, entscheidet der Coach“, stellt Leibenath klar, fügt aber hinzu: „Wir gehen davon aus, dass Killian mehr als 20 Minuten pro Begegnung spielen wird.“ Die in Scharen zu erwartenden NBA-Scouts wird es freuen.

Euer

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