Argentinien war die Überraschungsmannschaft

Spanien ist Basketballweltmeister 2019. Marc Gasol, Ricky Rubio und Co. standen im Halbfinale gegen die wieder einmal unglücklichen Australier kurz vor dem Aus, retteten sich aber durch zwei Verlängerungen ins Endspiel, in dem sie dann nie Zweifel am zweiten Titel nach 2006 aufkommen ließen. So sehr die Leistung der Iberer Bewunderung verdient, die größte Überraschung des Turniers waren aber die Argentinier, die sich stetig steigerten, bevor ihnen dann in der Titelpartie die Puste ausging. Vor allem im Viertel- und im Halbfinale brillierten die Gauchos. So schalteten sie zunächst den Turnierfavoriten Serbien mit einer großartigen Vorstellung aus. Dann legten sie im Halbfinale nach und ließen dem USA-Bezwinger Frankreich keine Chance. Ohne einen einzigen aktuellen NBA-Spieler knüpften die Südamerikaner an die Erfolge des vergangenen Jahrzehnts an.

Die „Goldene Generation“ um Manu Ginobili, die 2004 in Athen das Olympische Turnier gewann, hat eine legitime Nachfolgermannschaft gefunden. Vielleicht auch, weil ein Spieler in beiden Teams eine tragende Rolle spielt(e) und Teamspirit, Stolz und Leidenschaft an seine aktuellen Teamkollegen weitergegeben hat. Luis Scola läuft seit 20 Jahren für die Nationalmannschaft auf und bewies, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Der 39Jährige bereitete sich 14 Wochen lang mit einem Individualtrainer auf das Turnier vor und war mehr als nur der emotionale Brandungsfels der Argentinier. In China ist der Power Forward zum zweitbesten Punktesammler bei Weltmeisterschaften hinter dem legendären Brasilianer Oscar Schmidt avanciert. Vor allem seine physische Fitness stach trotz der schwächeren Finalvorstellung ins Auge. Immer wieder sprintete Scola über das Feld, obwohl er mit zehn NBA-Spielzeiten jede Menge Meilen auf dem Tacho hat. Mit 17,9 Punkten und 8,1 Rebounds legte er beeindruckende Werte auf, die mit einer Nominierung ins All-Tournament-Team gewürdigt wurden. Da der Routinier die letzten beiden Spielzeiten im Reich der Mitte aktiv war, wurde er vom Publikum ganz besonders gefeiert.

Scolas kongenialer Partner war der nur 1,79 Meter große Facundo Campazzo von Real Madrid. Der Spielmacher bestach mit Charisma, spektakulären Pässen und Nervenstärke in den entscheidenden Momenten. „Facu“ stellte unter Beweis, dass ein Spieler keine NBA-Athletik benötigt, um Spiele auf WM-Niveau zu dominieren. Campazzo war der unbestrittene Dreh- und Angelpunkt im argentinischen Spiel. „Bei Immobilien geht es immer um Lage, Lage, Lage. Im Basketball geht es um Guards, Guards, Guards.“, sagte der serbische Coach Sasa Djordjevic nach der Viertelfinalniederlage seiner Mannschaft angesichts der Galavorstellung des 28Jährigen.

Als herausragender Pick-and-Roll-Spieler profitierte Campazzo von Scolas unfassbarem Gespür für den richtigen Augenblick beim Abrollen, während der lange Mann sich darauf verlassen konnte, dass der Pass perfekt getimt war. Wirbelwind Campazzo erzielte 13,3 Punkte und 7,8 Assists und war trotz seiner überschaubaren Länge zweitbester Defensivrebounder der Argentinier. Nicolas Laprovittola, immerhin der amtierende MVP der spanischen ACB, kam von der Bank und setzte immer wieder Nadelstiche. Allerdings fehlte ihm die Konstanz und seine Wurfquoten waren alles andere als berauschend. So wurde Gabriel Deck zur dritten Kraft im Team. Mit Willen und Energie markierte der 24Jährige seine Zähler.

Defensiv waren die Argentinier gallig, aggressiv am Ball und sehr aktiv in ihren Rotationen. Die Mannschaft von Coach Sergio Hernandez verbuchte die meisten Ballgewinne im Turnier. Dennoch war die schnelle und attraktive Offensive das Prunkstück des Finalisten, dem bei den Olympischen Spielen 2020 der Überraschungsfaktor fehlen wird. Deshalb fällt es schwer, Argentinien trotz des Erfolges als Medaillenanwärter einzustufen. Die Mannschaft hat „overachieved“, aber sie hat auch bewiesen, was mit Herz und Teamspirit möglich ist. Das ist die DNA der Argentinier, mit der sie auch in Tokio vermeintliche Favoriten stürzen können.

Euer