Hessen künftig ohne Basketball-Erstligisten?
Ich habe sowohl in Gießen als auch in Frankfurt als Trainer gearbeitet. Zugegeben, das liegt lange zurück, aber Hessen ist mein Heimatbundesland, und für viele Fans ist es kaum vorstellbar, dass es hier keinen Erstligabasketball mehr geben soll. Ist die Saison 2021/2022 als eine Zäsur zu betrachten? Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, weil für die Skyliners noch die Chance besteht, über eine Wildcard im Oberhaus zu bleiben.
Beim größten Erfolg des Deutschen Basketballs, dem Gewinn der Europameisterschaft 1993, waren die Hessen zahlreich und prominent vertreten. Michael Koch, Henrik Rödl, Henning Harnisch und Hansi Gnad zählten zu den Stützen der Mannschaft, Bernd Röder war als Assistent von Svetislav Pesic im Trainerstab.
Knapp 30 Jahre später stehen die hessischen Korbjäger nicht mehr so strahlend da. Mir kommt in diesem Zusammenhang die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen in den Sinn, wo die Ex-Meister Leverkusen, Hagen und Köln, die unseren Sport im Westen prägten, alle nicht mehr erstklassig sind. Eine Hochburg wie in den letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts ist das bevölkerungsreichste Bundesland trotz dem aktuellen Bonner Höhenflug schon lange nicht mehr. Droht dem hessischen Spitzenbasketball ein ähnliches Schicksal?
Tradition in einer Universitätsstadt
Fünf Mal waren die Gießener unter dem Namen MTV 1846 Deutscher Meister. Sie gewannen den ersten Titel nach Einführung der Bundesliga und repräsentierten so ziemlich alles, was Basketball in Deutschland zu diesem Zeitpunkt ausmachte. Das Spiel unter den Körben fand vor 50 Jahren vor allem bei Studenten Anklang, die sich gerne bei stationierten US-Soldaten Inspiration und Motivation holten. In Mittelhessen waren genau diese Voraussetzungen gegeben. Als ich Mitte der 1970er Jahre erstmals eine Bundesligabegegnung in der Sporthalle Ost verfolgte, fragten die Zuschauer die Spieler noch beim Aufwärmen, in welche Kneipe es nach der Partie gehen sollte. Die Gepflogenheiten haben sich mittlerweile geändert, der Spielort aber nicht. Die Infrastruktur ist für jeden Coach ein hartes Brot. Als ich 2004 in Gießen übernahm, trainierten wir in den Rivers Barracks auf einem ehemaligen Kasernengelände der US-Streitkräfte. Der Boden war so rutschig, dass mein Assistent Thorsten Leibenath und ich vor jedem Training eine halbe Stunde früher kamen, um die Halle komplett feucht durchzuwischen. Seitdem hat sich die Situation wohl nicht verbessert. Aber eine neue Spielhalle und/oder ein Trainingszentrum sind angesichts des Absturzes in die Zweitklassigkeit unrealistisch. Trier und Tübingen sind Städte mit einer ähnlichen Größe wie Gießen. Beide Standorte haben es seit ihren Abstiegen 2015 beziehungsweise 2018 nicht geschafft, in die Beletage zurückzukehren. Auch für die Gießener wird dies kein Automatismus.
Große Pläne in einer Metropole
Die Skyliners gewannen 29 der 42 BBL-Derbys und sind eine Art Gegenentwurf zu den 46ers, von deren Fans sie als ein „Retortenklub“ verschmäht werden. Die Frankfurter kamen 1999 zu einem Zeitpunkt in die Liga, als die Etablierung des Basketballs in Großstädten als Ziel formuliert wurde. Die Rhöndorfer Lizenz wurde an den Main transferiert, wo mit der Ballsporthalle eine 5000 Zuschauer fassende Arena zur Verfügung stand. Zeitgleich gab es zum Beispiel Überlegungen, den MBC nach Leipzig zu verpflanzen, und einen ersten Versuch, Bundesligabasketball in Hamburg zu verankern. Die sportlichen Erfolge der Anfangsjahre (Deutscher Pokalsieger 2000 und Deutscher Meister 2004) weckten große Hoffnungen, aber letztendlich ist es bis heute nicht gelungen, ein Stammpublikum in adäquater Zahl zu binden. Das Programm benötigt einen neuen Impuls, um mittlerweile festgefahrene Bahnen zu verlassen. Auch in Frankfurt hofft man in diesem Zusammenhang auf eine neue Halle, wobei wie üblich in anderen Dimensionen als beim Konkurrenten von der Lahn gedacht wird. Aber ist eine große Multifunktionsarena angesichts der Tatsache, dass man nicht in der Lage war, die Ballsporthalle zu füllen, wirklich die Lösung? Ist eine modernere Halle die Voraussetzung für mehr Erfolg, oder sind nicht eher bessere sportliche Leistungen Basis für eine neue Arena? In jedem Fall müssen die Verantwortlichen ihre Politik der letzten Jahre überdenken, bei Spielerverpflichtungen in der Hoffnung auf Schnäppchen möglichst lange zu warten.
Schlechte Personalentscheidungen
Letztendlich waren es in dieser Saison in erster Linie schlechte Personalentscheidungen, die sowohl Frankfurt als auch Gießen auf einen Abstiegsplatz führten. Diese jetzt im Detail aufzudröseln, würde den Rahmen sprengen, aber großartiger Teamspirit war in beiden Mannschaften nicht erkennbar. Während die Skyliners noch auf eine Wildcard hoffen können, da mit Tübingen oder Leverkusen eine Mannschaft das ProA-Finale erreichen wird, die (noch) nicht aufsteigen möchte, besteht diese Chance für die 46ers nicht, da sie bereits in der Vorsaison in den Genuss dieser Möglichkeit kamen. Vielleicht kommt Hessen ja mit einem blauen Auge davon, weil die Frankfurter durch die Hintertür in der Liga bleiben.
Euer